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Die freischaffende Künstlerin Ulrike Obenauer lebt in Bleichenbach und gibt Workshops im Gymnasium Nidda

NIDDA/BLEICHENBACH - Der Schriftzug „Literatur“ mit den tanzenden bunten Metallbuchstaben für die Preisträger des Ovag-Jugendliteraturwettbewerbs kommt ebenso aus ihrer Werkstatt wie die Stahl-Basalt-Skulptur „Zusammenstehen“ auf dem Friedhof Bleichenbach oder die „Muckschder Zwiwwen“ als Negativ in Stahlplatten auf dem Nieder-Mockstädter Kreisverkehr. Doch das Spektrum der Bleichenbacher Metallbildhauerin Ulrike Obenauer ist größer. Auch Grafiken, Bilder und Holzskulpturen sind schon in ihrer Werkstatt entstanden, selbst Gräber wurden nach ihren Entwürfen gestaltet. Zunehmend hat sie in den vergangenen Jahren auch Kunstworkshops geboten, so kürzlich im Gymnasium Nidda, verbunden mit einer Ausstellung (der Kreis-Anzeiger berichtete). Vorher arbeitete sie ein halbes Jahr lang mit Flüchtlingen in der Erstaufnahmeeinrichtung Büdingen kreativ. Ist das Leben als freischaffende Künstlerin Lust oder Frust? Ulrike Obenauer lud unsere Zeitung in ihr Haus in Bleichenbach ein. Ein faszinierender Ort: Aus dem ehemaligen Raiffeisen-Lagerhaus ist „wie von selbst“ eine Galerie geworden, kein Zimmer, in dem nicht Skulpturen, Bilder oder ebenso schlicht wie einfallsreich gestaltete Alltagsgegenstände zum Betrachten einladen.

 

Kreis-Anzeiger: Frau Obenauer, die Niddaer Ausstellung hat den Titel „Würfelspiele“, zeigte höchst einfallsreiche Abwandlung der Ausgangsformen Würfel und Quadrate. Kommen solche Gestaltungsideen als Willensakt? Oder als Intuition aus dem Nichts? Oder im freien Spiel mit dem Material?

 

Ulrike Obenauer: Wenn ich frei arbeite, entscheide ich mich intuitiv zuerst für ein Material: Metall, Holz, Zeichnung oder Malerei. Oft schließe ich zuerst die Augen und ein inneres Bild für den ersten Schritt entsteht: eine Farbe, ein Schnitt ins Holz, ein Zusammenfügen von Schrottteilen.

 

Also eher Intuition oder bewusste Konzentration?

 

Ein Wechselspiel von beidem und zugleich ein Offensein für das Charakteristische des Materials. Mit jedem Arbeitsschritt werden neue Ausgangslagen geschaffen, die wiederum Entscheidungen erfordern. Ein Prozess beginnt, von dem ich zu Beginn selbst nichts wusste. Es gibt keinen Plan, aber es wartet immer etwas unter der Oberfläche, das sich zeigen möchte. Etwas, das ich mit Worten schwer, manchmal gar nicht fassen konnte, sehe ich dann materialisiert vor mir. Das ist spannend, oft für mich selbst überraschend und beglückend, wenn etwas ganz Neues entstanden ist.

 

Das klingt nach einem kontinuierlich fließenden Arbeitsprozess...

 

Nicht unbedingt. Zwischen den einzelnen Gestaltungsschritten kann es längere Pausen geben oder es passiert alles schnell – in einem Fluss. Wenn eine Arbeit abgeschlossen ist, bleibt sie gern noch eine Weile bei mir, bevor sie gezeigt werden kann. Dann aber wird sie freigegeben.

 

Fällt Ihnen das leicht? Es soll auch Künstler geben, die sich fast nicht von ihren Arbeiten trennen können.

 

Es ist nicht immer leicht. Es kostet manchmal Mut, wenn etwas zutiefst Persönliches öffentlich gemacht wird, aber durch diese Öffnung entsteht auch eine Chance. Nun sind die Betrachter an der Reihe. Nicht Worte oder Arbeitstitel sollen dann sprechen, ich will auch nicht im Vorhinein festlegen oder beeinflussen. Für mich ist die Übergabe ein Moment der Spannung, im besten Fall ein Glücksmoment, nämlich dann, wenn die Betrachter durch die Arbeit „berührt“ werden, wenn bei ihnen etwas in Gang kommt: ein Wiedererkennen, Freude, eine Assoziation. Selbst mit einer Abwehrreaktion kann ich besser leben als mit Gleichgültigkeit.

 

Sie bezeichnen die Hälfte Ihrer Arbeiten als ganz frei entstanden, die andere Hälfte durch Aufträge. Ist dann das Vorgehen anders?

 

Dann muss ich vor Arbeitsbeginn vieles planen und erwägen. Ich muss Erwartungen einschätzen und mich dann wieder ein Stück davon befreien, damit die Intuition zum Zug kommen kann. Das kann sehr zäh werden oder aber produktiv im Wechselspiel zwischen der vorgegebenen Idee und dem, was ich will, was das Material hergibt.

 

Metallbildhauerei erfordert Kraft, zum Teil auch aufwendige Maschinenausstattung. Wie sind Sie zu diesem Schwerpunkt gekommen, wie realisieren Sie die Herstellung großer Arbeiten?

 

Obwohl ich Kunstpädagogik in Frankfurt bei Professor Wolf Spermann studierte und 1987 abschloss, entschloss ich mich 1993, als freie Künstlerin zu leben und zu arbeiten. Seit 2000 habe ich mein Atelier in Bleichenbach. Metalle haben mich schon während des Kunststudiums fasziniert und ich lernte die Grundlagen der Bearbeitung. Es fordert mich immer wieder heraus, das Kalte, Starre, Glänzende des Materials in etwas Lebendiges zu verwandeln. Es ist richtig, dass dazu auch spezielle handwerkliche Techniken gehören. Während der Zusammenarbeit mit einem Schlosser konnte ich meine Fertigkeiten und Maschinenkenntnisse für die Metallbearbeitung verfeinern. Wenn ich große Arbeiten herstelle, arbeite ich mit einer Schlosserei zusammen. In meinem Haus habe ich eine Metallwerkstatt eingerichtet für alle Arbeiten, die ich alleine bewältigen kann. Aber ich merke vor allem im Winter, dass mir körperlich anstrengende Arbeit im Zugigen, Kalten schwerer fällt. Ich bekam Schulterprobleme – das ist einer von mehreren Gründen, warum ich mich vermehrt dem Grafischen und Malerischen zugewandt habe.

 

Sie sind 1961 geboren, können seit 25 Jahren von Ihrer Kunst leben. Sie haben auch dekorative Gebrauchsgegenstände gemacht oder die bunten Metallvögel für den Außenbereich, die sehr gefragt sind. Wie weit müssen Sie sich dem Druck des Marktes beugen?

 

Verspieltes, Dekoratives ist tatsächlich sehr nachgefragt. Man kann die Leute damit wirklich erfreuen. Aber es kam eine Zeit, wo das für mich zur Routine wurde und ich die Freude daran verlor. Ich merkte: Ich muss mutig sein und bei mir selbst bleiben. Es hat einiges Unverständnis gegeben, als ich die Produktion von eher Dekorativem verringert habe. Aber es war ein richtiger Schritt. Es entstand Raum für Neues. Bei meiner letzten Ausstellung zeigte ich überwiegend Skulpturen aus Holz, Metallmontagen und auch Malereien und Zeichnungen und das wurde gut angenommen.

 

An welche Ihrer Arbeiten und Präsentationen denken Sie gern zurück?

 

Beim Wettbewerb für die Gestaltung von Taufbecken und Lesepult der evangelischen Kirche in Wiesbaden-Naurod habe ich den ersten Preis und den Gestaltungsauftrag bekommen. 2010 habe ich unter dem Motto „Auf und Ab und auf“ die Wandgestaltung im Speisesaal der Salus-Klinik Friedrichsdorf ausgeführt. Wenn ich an den „Muckschder Zwiwwen“ (2013 gefertigt) vorbei fahre, freue ich mich am Spiel von Licht und Schatten, daran, dass ich etwas Charakteristisches für meine Wahlheimat Wetterau schaffen konnte! Der Dialog mit anderen Kunstschaffenden, mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern ist mir wichtig. Seit 2006 bin ich an der jährlichen Ausstellung des Berufsverbandes bildender Künstler (Frankfurt) in der Paulskirche beteiligt, dessen Mitglied ich bin. Freude gemacht hat mir die Einladung zu zwei Internationalen Symposien des Vereins Kunst:Projekt im Park von Bad Salzhausen – sehr anregend!

 

Eine ganz spezielle Form des Dialogs sind die Workshops an Schulen, am Niddaer Gymnasium zum Beispiel mit zwei Leistungskursen Kunst. Anstrengend? Anregend? Oder muss viel Distanz („Die ist Profi – wir nur Amateure“) überwunden werden?

 

Man braucht vielleicht am Anfang einen Augenblick, um miteinander warm zu werden. Im Gymnasium war diese Phase durch das Interview und die Ausstellungseröffnung am Vorabend schon gegeben. Außerdem hat Matthias Weidmann vom Kollegium des Gymnasiums, Tutor des einen Leistungskurses, als Kooperationspartner den Workshop begleitet. Vorgegeben war die Technik Linolschnitt, bei der im Hoch- oder Tiefdruck Buchstaben entstehen und die Schrift zum Gestalten genutzt werden sollte. Nur als Anregung habe ich Gedichte von Ernst Jandl und Eugen Gommringer hereingegeben. Es sind faszinierende Arbeiten entstanden, manchmal habe ich an konkrete Poesie gedacht: vor einem kriegerischen Hintergrund die Schrift in Form einer auffliegenden Friedenstaube. Andere haben streng, linear gestaltet, den Text kryptisch in geometrische Formen eingepasst oder aber freie fantasievolle „Landschaften“ geschaffen indem sie die Buchstaben vom Inhalt befreit als ästhetische Zeichen verwendeten. Die Workshop-Idee ist angekommen, weiter entwickelt worden.

 

Würden Sie gern öfter solche Workshops machen, auch mit unterschiedlichen Altersgruppen?

 

Ja, gerne, wenn meine Auftragslage es zulässt!

 

Wie sieht das Alter freier Künstler aus?

 

(lacht) An vorgezogenen Ruhestand darf ich nicht denken. Ich hoffe, dass ich bis zuletzt arbeiten kann, dass meine Kreativität anhält.

 

Quelle: Kreis-Anzeiger, 10.03.2018

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